Der Ofen ist ausEine Multimedia-Reportage von Marc Mudrak (Text) und Lukas Habura (Fotos/Videos)
Was bedeutet die Schließung der letzten selbständigen Bäckerei für das Dorf? Und wie fühlt sich der Bäckermeister am Tag, an dem die 170-jährige Familientradition zu Ende geht?
Duft und Wärme am frühen Morgen
Die letzte Backnacht Seit 1 Uhr ist Bäckermeister Thomas Feger an der Arbeit - zum letzten Mal in seinem Leben. In seiner Backstube macht er noch alles selbst.
Die letzte Backnacht Seit 1 Uhr ist Bäckermeister Thomas Feger an der Arbeit - zum letzten Mal in seinem Leben. In seiner Backstube macht er noch alles selbst.
Am Mittag wird er nach 45 Jahren den Ofen endgültig ausschalten und in den Ruhestand gehen – ohne Nachfolger. Thomas Feger und seine Frau Marianne, die vorne im Laden bedient, haben keine Kinder. So übernimmt ab November jemand anderes den Laden. Dann kommen die Brötchen von auswärts. Der Ofen bleibt aus. Eine Ära geht jetzt zu Ende.
Zu anstrengend in seinem Alter
Feger ist der letzte selbständige Bäcker in Münchweier. "Früher waren es mal drei", erzählt er. Aber die haben nach und nach dicht gemacht. Das Geschäft in der Hauptstraße etwa wurde zur Filiale eines auswärtigen Betriebs. Produziert wird dort nicht mehr. Nur Feger macht noch alles selbst und mit der Hand.
Die Arbeitsbelastung im Bäckerberuf ist hoch, vor allem in Ein-Mann-Betrieben wie jenem in Münchweier. 140 Brezeln muss Feger heute aufs Blech bringen, dazu unter anderem 60 Körnerbrötchen. "Am Samstag ist es dreimal so viel." Die Anstrengung will er sich in seinem Alter nicht mehr zumuten. Hinzu kommt, dass sein Geselle seit einem viertel Jahr krank ist. Allein ist die Arbeit zu viel.
Das Ende einer 170-jährigen Bäckertradition
Das Ende einer 170-jährigen Bäckertradition
Bäcker aus Leidenschaft
Zeit für eine Pause: Jetzt gibt es ein Vesper, natürlich mit selbstgemachten Brötchen. Feger lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck Kaffee. »Mein Beruf ist körperlich sehr anstrengend«, erzählt er. Dennoch sei er Bäcker aus Leidenschaft. Seit drei Generationen befindet sich der Betrieb in Münchweier im Familienbesitz, die Bäckerei soll es sogar seit 170 Jahren geben. Diese Tradition geht heute zu Ende.
»Mein Großvater und mein Vater waren Bäcker«, erzählt Feger. "Eigentlich war mein Vater Einzelhandelskaufmann, aber aus Liebe zu meiner Mutter hat er den Beruf gewechselt und wurde Bäcker." Die Mutter war auch Bäckergesellin.
Musste als einziger Sohn den Betrieb weiterführen
So sei es früh klar gewesen, dass er den selben Beruf ergreifen würde. "Es gab keine andere Möglichkeit, denn ich war der einzige Sohn." Feger ist der letzte Bäcker der Familie. Er und seine Frau haben keine Kinder, die den Betrieb übernehmen könnten.
Ist Thomas Feger glücklich mit seinem Leben als Bäcker? "Mir hat das frühe Aufstehen nichts ausgemacht", berichtet er. »Ich hätte hier auch gerne mal weg gewollt, aber es ging nicht.« Stattdessen stand er Nacht für Nacht in der Backstube, sechs Tage die Woche. 45 Jahre lang. Nicht mal im Urlaub könne er abschalten: »Ich wache immer um 3 Uhr nachts auf.«
Deutschlands Bäckerhandwerk im Niedergang?
Zum anderen fehlt es seit einigen Jahren an Nachwuchs. Bäcker zu sein ist ein anstrengender Beruf, die Arbeit findet dann statt, wenn andere schlafen oder feiern. "Deshalb wollen das immer weniger junge Leute machen", sagt Feger. Die Folge: Mancherorts können Bäckereien am Sonntag aus Personalmangel nicht mehr öffnen.
Weniger, aber größere Betriebe
Den drastischen Wandel belegen auch aktuelle Zahlen des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Sie zeigen, dass die Betriebe weniger werden, aber dafür größer. Und dass es immer weniger Bäcker gibt.
So gab es im Jahr 2008 bundesweit etwa 15 300 Betriebe - 2014 waren es noch 12 600. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten pro Betrieb von 19 auf 22.
Dass das Bäckerhandwerk insgesamt an Attraktivität verliert, macht schließlich die Zahl der Auszubildenden deutlich: Die fiel zwischen 2008 und 2014 von 36 200 auf 20 500.
Hand-Werk: Backen (fast) wie früher
Hand-Werk: Backen (fast) wie früher
Der Bäckermeister schüttet Mehl, Zucker und Hefe in die Knetmaschine. Die fertigen Teige legt der 60-Jährige auf ein großes Holzbrett, knetet, walkt und formt sie. Dann kommt alles in den Backofen, der die Stube kräftig aufheitzt. "Im Sommer wird es hier drinnen sehr heiß", sagt Feger. Dafür ist es jetzt, an einem kühlen Herbstmorgen, angenehm warm. Mehl klebt an Händen und Klamotten.
Maschinen werden verkauft
Zwei weitere Maschinen stehen in der Backstube. Feger hat für sie schon Käufer gefunden, nachdem sie heute ihren letzten Dienst getan haben. Die eine Maschine formt aus Teigbatzen schöne Brötchen, die andere rollt den Teig in längliche Zapfen. Daraus formt Feger Brezeln.
So werden Brezeln mit der Hand gemacht
Der Bäckermeister rollt den Teig zu einer Schlange aus. Die packt er an den Enden und schleudert sie mit einer leichten Drehung aus dem Handgelenk durch die Luft. Wenn der Teig wieder auf dem Brett liegt, hat er die fertige Brezelform.
Ein letztes Lächeln im Laden
Ein letztes Lächeln im Laden
Bis vor Kurzem wurde Frau Feger im Laden noch von einer Verkäuferin unterstützt. Heute hilft ihre Nichte Ramona aus. "Ich stand schon als kleines Kind hier drinnen", berichtet sie. "Aber übernehmen wollte ich das Geschäft nicht."
Lachendes und weinendes Auge
Marianne Feger plaudert ein letztes Mal mit den Kunden, die ab kurz nach sechs den Laden betreten. Was fühlt sie an diesem besonderen Tag? Ihre Stimme wird etwas leiser, der Gesichtsausdruck wehmütig. "Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge", berichtet sie. Einerseits freue sie sich auf mehr Freizeit, andererseits hänge sie am Bäckereibetrieb und dem Kontakt mit den Menschen vor Ort. "Viele Leute haben mir gesagt, wie schade sie es finden, dass wir aufhören. Aber sie gönnen es uns auch."
Das Dorf, die Kunden und die letzte Bäckerei
Das Dorf, die Kunden und die letzte Bäckerei
So oder so ähnlich dürften viele Kunden empfinden, die den Vormittag über in den Laden kommen. Manche drücken den Fegers zum Abschied die Hand oder schieben ein paar nette Worte hinterher, wenn sie den Laden verlassen. "Macht's gut", ruft ein älterer Herr. "Man sieht sich", sagt eine Frau. Andere bringen kleine Geschenke mit. Eine Stammkundin verdrückt sogar ein paar Tränen, als sie erzählt, wie traurig sie über die Schließung ist.
Schüler kamen zur Besichtigung
Wie sehr das Dorf mit der Bäckerei verbunden war, zeigen auch einige Zettel, die im Laden an der Wand hängen. Darauf bedanken sich Schüler für die Führung durch die Bäckerei. Künftig werden sie dafür weiter reisen müssen.
Wie geht es für die Bäckerfamilie weiter?
Dann ein Lächeln. Er freue sich auf die Freiheit, die ihn nun erwarte, berichtet er. "Endlich muss ich nicht mehr abends um 8 oder 9 Uhr schon daran denken, gleich ins Bett zu gehen." Ganz verzichten wird er auf seinen Beruf aber nicht. "Ich werde bei anderen Bäckern gelegentlich aushelfen."
Dennoch wird mehr Zeit bleiben für Hobbys. Früher spielte Thomas Feger Fußball, heute läuft er Marathon. Auch um seinen kleinen Weinberg kann er sich künftig intensiver kümmern. Marianne Feger scheint der Abschied sichtbar schwerer. Sie stemmt die Arme in die Hüften und blickt in Richtung Ladentür. "Ich werde sicher nicht die sein, die nachher die Tür zusperrt." Heute Abend, wenn in der Bäckerei Feger nach 170 Jahren der Ofen ausgeht.
"Es fühlt sich an wie Urlaub"
Wie geht es ihr? "Ich bin erleichtert. Es fühlt sich an wie Urlaub", sagt sie. "Ich genieße meinen Garten und mein Haus." Ihrem Mann gehe es genauso. Dennoch gibt es viel zu tun. "Langweilig wird mir nicht." Im Laden wird kräftig umgebaut: Er wird im November neu eröffnet, allerdings ohne eigene Bäckerei - die Brötchen kommen von auswärts.
Dann wird es nachts nicht mehr nach Hefegebäck und warmen, dampfenden Brezeln riechen. Marianne Feger wird nicht mehr mit einem Lächeln Tüten über die Theke reichen. Und der alte Backofen von Thomas Feger bleibt aus.