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Letzter Backtag

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Überall in Deutschland sterben die kleinen Bäckereien - auch in der Ortenau. In Münchweier hatte am 2. Oktober 2015 der Laden von Thomas Feger zum letzten Mal geöffnet. Danach ging er in Ruhestand - ohne Nachfolger. Er war der letzte selbständige Bäcker im Ort.

Was bedeutet die Schließung der letzten selbständigen Bäckerei für das Dorf? Und wie fühlt sich der Bäckermeister am Tag, an dem die 170-jährige Familientradition zu Ende geht?
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Es ist ein kalter Herbstmorgen in Münchweier, einem Ortsteil von Ettenheim. Um kurz vor 6 Uhr liegt noch die Nacht über den Fachwerkhäusern im Dorfkern. Nur im Laden der Bäckerei Feger brennt schon Licht. Wer müde, frierend und mit hochgeschlagenem Mantelkragen den kleinen Verkaufsraum betritt, taucht ein in wohltuende Wärme und den Duft von Brötchen, Brezeln und Plunderstücken. Es riecht mild und süßlich nach frischem Hefegebäck.
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Direkt hinter dem Laden befindet sich die Backstube. Sie ist das Reich von Bäckermeister Thomas Feger. Der 60-Jährige – weiße Haare, Schnauzbart, Brille und, wie es sich gehört, ganz in Weiß gekleidet – wuselt dort seit 1 Uhr nachts zwischen Mehlsäcken, dem Ofen und stählernen Maschinen hin und her. "Bäcker dürfen keine Morgenmuffel sein", sagt er und zieht ein dampfendes Blech mit überbackenen Brötchen aus dem Ofen.

Am Mittag wird er nach 45 Jahren den Ofen endgültig ausschalten und in den Ruhestand gehen – ohne Nachfolger. Thomas Feger und seine Frau Marianne, die vorne im Laden bedient, haben keine Kinder. So übernimmt ab November jemand anderes den Laden. Dann kommen die Brötchen von auswärts. Der Ofen bleibt aus. Eine Ära geht jetzt zu Ende.

Zu anstrengend in seinem Alter

Feger ist der letzte selbständige Bäcker in Münchweier. "Früher waren es mal drei", erzählt er. Aber die haben nach und nach dicht gemacht. Das Geschäft in der Hauptstraße etwa wurde zur Filiale eines auswärtigen Betriebs. Produziert wird dort nicht mehr. Nur Feger macht noch alles selbst und mit der Hand.

Die Arbeitsbelastung im Bäckerberuf ist hoch, vor allem in Ein-Mann-Betrieben wie jenem in Münchweier. 140 Brezeln muss Feger heute aufs Blech bringen, dazu unter anderem 60 Körnerbrötchen. "Am Samstag ist es dreimal so viel." Die Anstrengung will er sich in seinem Alter nicht mehr zumuten. Hinzu kommt, dass sein Geselle seit einem viertel Jahr krank ist. Allein ist die Arbeit zu viel.



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Es ist nun kurz nach sieben. Bäckermeister Feger hat im Nebenraum an einem Tisch Platz genommen. Seit sechs Stunden ist er auf den Beinen, hat sogar schon Tüten mit frischen Brezeln und Croissants in Münchweier ausgetragen - zum letzten Mal.

Bäcker aus Leidenschaft

Zeit für eine Pause: Jetzt gibt es ein Vesper, natürlich mit selbstgemachten Brötchen. Feger lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck Kaffee. »Mein Beruf ist körperlich sehr anstrengend«, erzählt er. Dennoch sei er Bäcker aus Leidenschaft. Seit drei Generationen befindet sich der Betrieb in Münchweier im Familienbesitz, die Bäckerei soll es sogar seit 170 Jahren geben. Diese Tradition geht heute zu Ende.

»Mein Großvater und mein Vater waren Bäcker«, erzählt Feger. "Eigentlich war mein Vater Einzelhandelskaufmann, aber aus Liebe zu meiner Mutter hat er den Beruf gewechselt und wurde Bäcker." Die Mutter war auch Bäckergesellin.

Musste als einziger Sohn den Betrieb weiterführen

So sei es früh klar gewesen, dass er den selben Beruf ergreifen würde. "Es gab keine andere Möglichkeit, denn ich war der einzige Sohn." Feger ist der letzte Bäcker der Familie. Er und seine Frau haben keine Kinder, die den Betrieb übernehmen könnten.

Ist Thomas Feger glücklich mit seinem Leben als Bäcker? "Mir hat das frühe Aufstehen nichts ausgemacht", berichtet er. »Ich hätte hier auch gerne mal weg gewollt, aber es ging nicht.« Stattdessen stand er Nacht für Nacht in der Backstube, sechs Tage die Woche. 45 Jahre lang. Nicht mal im Urlaub könne er abschalten: »Ich wache immer um 3 Uhr nachts auf.«

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Dass kleine Dorfbäckereien schließen oder von einer größeren Firma übernommen werden, ist mittlerweile Alltag in Deutschland. Das liegt zum einen an der Konkurrenz der Supermärkte und Ketten mit ihren Aufbackwaren. "Bei mir kaufen vorwiegend die Älteren aus dem Ort", erzählt Bäckermeister Feger. "Die Jungen fahren nach dem Arbeiten einfach kurz beim Discounter vorbei." Billige Teiglinge triumphieren über traditionelle Handarbeit.

Zum anderen fehlt es seit einigen Jahren an Nachwuchs. Bäcker zu sein ist ein anstrengender Beruf, die Arbeit findet dann statt, wenn andere schlafen oder feiern. "Deshalb wollen das immer weniger junge Leute machen", sagt Feger. Die Folge: Mancherorts können Bäckereien am Sonntag aus Personalmangel nicht mehr öffnen.

Weniger, aber größere Betriebe

Den drastischen Wandel belegen auch aktuelle Zahlen des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Sie zeigen, dass die Betriebe weniger werden, aber dafür größer. Und dass es immer weniger Bäcker gibt.

So gab es im Jahr 2008 bundesweit etwa 15 300 Betriebe - 2014 waren es noch 12 600. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten pro Betrieb von 19 auf 22.

Dass das Bäckerhandwerk insgesamt an Attraktivität verliert, macht schließlich die Zahl der Auszubildenden deutlich: Die fiel zwischen 2008 und 2014 von 36 200 auf 20 500.
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Bei Fegers in Münchweier läuft der Betrieb derweil noch auf Hochtouren. Die hell geflieste Backstube wurde Anfang der 1970er Jahre gebaut. Viel hat sich seither nicht verändert. Die Ecken der Regale, auf denen Feger das Brot stapelt, sind schon abgestumpft.

Der Bäckermeister schüttet Mehl, Zucker und Hefe in die Knetmaschine. Die fertigen Teige legt der 60-Jährige auf ein großes Holzbrett, knetet, walkt und formt sie. Dann kommt alles in den Backofen, der die Stube kräftig aufheitzt. "Im Sommer wird es hier drinnen sehr heiß", sagt Feger. Dafür ist es jetzt, an einem kühlen Herbstmorgen, angenehm warm. Mehl klebt an Händen und Klamotten.

Maschinen werden verkauft

Zwei weitere Maschinen stehen in der Backstube. Feger hat für sie schon Käufer gefunden, nachdem sie heute ihren letzten Dienst getan haben. Die eine Maschine formt aus Teigbatzen schöne Brötchen, die andere rollt den Teig in längliche Zapfen. Daraus formt Feger Brezeln.
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Es sieht einfach aus - und ist für Ungeübte doch unendlich schwer. Um aus einem Streifen Teig eine Brezel zu Formen, sind viel Geschicklichkeit und Übung nötig. "Um das perfekt zu können braucht man mehrere Tage", sagt Thomas Feger.

Der Bäckermeister rollt den Teig zu einer Schlange aus. Die packt er an den Enden und schleudert sie mit einer leichten Drehung aus dem Handgelenk durch die Luft. Wenn der Teig wieder auf dem Brett liegt, hat er die fertige Brezelform.
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Die Teigbrezeln werden im nächsten Schritt kurz in eine Lauge eingetaucht. Dann streut Thomas Feger noch Salz über sie - und es geht ab in den Ofen.

Etwa 120 bis 140 Brezeln hat Thomas Feger so jeden Tag gebacken. Zum Vergleich: "In der Industrie werden Tausende in nur einer Stunde hergestellt."
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Vorne im Laden bedient Thomas Fegers Frau Marianne. Sie trägt kurzes Haar, Brille und ein gestreiftes Oberteil. Das Regal hinter ihr ist prall gefüllt mit Brötchen, Croissants und Laugenstangen, die sie in Papiertüten steckt und den Kunden über die gläserne Theke reicht. "Am besten verkaufen sich die Laible", erzählt die Bäckersfrau. Gelernt hat sie eigentlich Modeverkäuferin, doch nach der Hochzeit wechselte sie den Beruf.

Bis vor Kurzem wurde Frau Feger im Laden noch von einer Verkäuferin unterstützt. Heute hilft ihre Nichte Ramona aus. "Ich stand schon als kleines Kind hier drinnen", berichtet sie. "Aber übernehmen wollte ich das Geschäft nicht."

Lachendes und weinendes Auge

Marianne Feger plaudert ein letztes Mal mit den Kunden, die ab kurz nach sechs den Laden betreten. Was fühlt sie an diesem besonderen Tag? Ihre Stimme wird etwas leiser, der Gesichtsausdruck wehmütig. "Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge", berichtet sie. Einerseits freue sie sich auf mehr Freizeit, andererseits hänge sie am Bäckereibetrieb und dem Kontakt mit den Menschen vor Ort. "Viele Leute haben mir gesagt, wie schade sie es finden, dass wir aufhören. Aber sie gönnen es uns auch."
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Eine Bäckerei hat in Dörfern eine wichtige Funktion für die Infrastruktur. Sie bedeutet kommunale Selbstversorgung, nah bei den Menschen, gerade den Alten, die nicht mehr so mobil sind. Zugleich ist sie ein Treffpunkt, ein Ort, an dem sich die Bevölkerung austauschen kann. Eine dörfliche Institution, die ein bisschen Heimat stiftet.

So oder so ähnlich dürften viele Kunden empfinden, die den Vormittag über in den Laden kommen. Manche drücken den Fegers zum Abschied die Hand oder schieben ein paar nette Worte hinterher, wenn sie den Laden verlassen. "Macht's gut", ruft ein älterer Herr. "Man sieht sich", sagt eine Frau. Andere bringen kleine Geschenke mit. Eine Stammkundin verdrückt sogar ein paar Tränen, als sie erzählt, wie traurig sie über die Schließung ist.

Schüler kamen zur Besichtigung

Wie sehr das Dorf mit der Bäckerei verbunden war, zeigen auch einige Zettel, die im Laden an der Wand hängen. Darauf bedanken sich Schüler für die Führung durch die Bäckerei. Künftig werden sie dafür weiter reisen müssen.
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Thomas Feger ist an seinem letzten Arbeitstag seltsam ungerührt. Alles läuft wie immer, auf Hochtouren, so wie seit 45 Jahren. Geht ihm das Ende nicht nahe? Feger holt kurz Luft, legt den Kopf in den Nacken und sagt: "Ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken.Das kommt sicher in den nächsten Tagen."

Dann ein Lächeln. Er freue sich auf die Freiheit, die ihn nun erwarte, berichtet er. "Endlich muss ich nicht mehr abends um 8 oder 9 Uhr schon daran denken, gleich ins Bett zu gehen." Ganz verzichten wird er auf seinen Beruf aber nicht. "Ich werde bei anderen Bäckern gelegentlich aushelfen."

Dennoch wird mehr Zeit bleiben für Hobbys. Früher spielte Thomas Feger Fußball, heute läuft er Marathon. Auch um seinen kleinen Weinberg kann er sich künftig intensiver kümmern. Marianne Feger scheint der Abschied sichtbar schwerer. Sie stemmt die Arme in die Hüften und blickt in Richtung Ladentür. "Ich werde sicher nicht die sein, die nachher die Tür zusperrt." Heute Abend, wenn in der Bäckerei Feger nach 170 Jahren der Ofen ausgeht.
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Eine Woche nach Schließung des Geschäfts: Anruf bei den Bäckersleuten. Am Telefon meldet sich Marianne Feger. Sie wirkt fröhlich und ist in Plauderlaune. Ihr Mann sei gerade unterwegs, erzählt sie.

Wie geht es ihr? "Ich bin erleichtert. Es fühlt sich an wie Urlaub", sagt sie. "Ich genieße meinen Garten und mein Haus." Ihrem Mann gehe es genauso. Dennoch gibt es viel zu tun. "Langweilig wird mir nicht." Im Laden wird kräftig umgebaut: Er wird im November neu eröffnet, allerdings ohne eigene Bäckerei - die Brötchen kommen von auswärts.

Dann wird es nachts nicht mehr nach Hefegebäck und warmen, dampfenden Brezeln riechen. Marianne Feger wird nicht mehr mit einem Lächeln Tüten über die Theke reichen. Und der alte Backofen von Thomas Feger bleibt aus.
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